In diesem Jahr feiern wir, alle franziskanischen Gemeinschaften und Freunde des heiligen Franziskus, den 17. September als besonderen Festtag im Gedenken, dass der Heilige vor 800 Jahren durch seine gnadenvolle Verbundenheit mit dem Gekreuzigten die Wundmale Jesu Christi empfangen hat. Franziskus weilte 1224, zwei Jahre vor seinem Tod, zum Fest Kreuzerhöhung um den 14. September in La Verna. Zwischen zerklüfteten, hohen Felsen fand er die Stille und Ruhe, um in Liebe sich in den Schmerz seines Herrn zu versenken. Thomas von Celano beschreibt dieses Wunder bald nach dem Tod des Heiligen:

„Zwei Jahre bevor Franziskus seine Seele dem Himmel zurückgab, weilte er in einer Einsiedelei, die nach dem Ort, wo sie gelegen ist, Alverna heißt. Da sah er in einem Gottgesicht einen Mann über sich schweben, einem Seraph ähnlich, der sechs Flügel hatte und mit ausgespannten Händen und aneinandergelegten Füßen ans Kreuz geheftet war. Zwei Flügel erhoben sich über seinem Haupt, zwei waren zum Fluge ausgespannt, zwei endlich verhüllten den ganzen Körper. Als der selige Diener des Allerhöchsten dies schaute, wurde er von übergroßem Staunen erfüllt, konnte sich aber nicht erklären, was dies Gesicht bedeuten solle. Große Wonne durchdrang ihn, und noch tiefere Freude erfasste ihn über den gütigen und gnadenvollen Blick, mit dem er sich vom Seraph betrachtet sah, dessen Schönheit unbeschreiblich war; doch sein Hangen am Kreuz und die Bitterkeit seines Leidens erfüllte ihn ganz mit Entsetzen. Und so erhob er sich, sozusagen traurig und freudig zugleich, und Wonne und Betrübnis wechselten in ihm miteinander. Er dachte voll Unruhe nach, was dieses Gesicht wohl bedeute, und um seinen innersten Sinn zu erfassen, ängstigte sich sein Geist gar sehr. Franziskus, der die Traurigkeit mehr denn je kannte, der im Leiden die Nähe der Schmerzen Christi tief erblickte, empfand dabei auch tiefe Freude… Während er sich verstandesmäßig über das Gesicht nicht klar zu werden vermochte und das Neuartige an ihm stark sein Herz beschäftigte, begannen an seinen Händen und Füßen die Male der Nägel sichtbar zu werden in derselben Weise, wie er es kurz zuvor an dem gekreuzigten Mann über sich gesehen hatte. Seine Füße und Hände schienen in der Mitte mit Nägeln durchbohrt, wobei die Köpfe der Nägel an den Händen auf der inneren und an den Füßen auf der oberen Fläche erschienen, während ihre Spitzen sich an der Gegenseite zeigten. Die Male waren nämlich an der Innenseite der Hände rund, an der Außenseite aber länglich. Ferner war die Seite wie mit einer Lanze durchbohrt und zeigte eine vernarbte Wunde, aus der häufig Blut floss, so dass sein Habit oftmals mit heiligem Blut getränkt wurde. (I Cel 94 und 95)        Nach diesem Ereignis hüllte sich der Heilige in vollkommenes Schweigen über das ihm Widerfahrene und verlangte dieses auch von denjenigen, die seine Wundmale zu Gesicht bekamen. Ohnehin handelte es sich hierbei nur um einige wenige Brüder. Neben Rufino und Elias auch Bruder Leo, der in den letzten Jahren des Franziskus einer der liebsten Gefährten und Freund des Heiligen war.“

Franziskus von Assisi gilt als der erste Mensch, dem die fünf Wundmale Christi sichtbar übertragen wurden. Dabei kommen einem viele Gedanken und Fragen, um an psychologische Erklärungen zu gelangen. Anton Rotzetter beantwortet Skepsis in seinem Buch „Franz von Assisi“ (1981) so: „Heilige sind die Verdeutlichung Christi. Wohl, das sind sie! … Sie übersetzen Den, welcher der Herr und Inbegriff ist, je nach Zeit oder Not in eine besondere menschliche Möglichkeit… Franziskus tut mehr: er übersetzt nicht, er vergegenwärtigt. … Jeder, der über Franz von Assisi sprechen will, muss sich Gedanken machen über die Kraftlinien, die sein Leben bestimmen und über das Programm, das seiner Lebensgeschichte innewohnt. Er muss seine Lebensform in Denkformen, in eine Theorie übersetzen…, die bei Franziskus in der ursprünglichen Bedeutung zum Tragen kommt. Dann heißt Theorie „schauen“, jene Fähigkeit, die Franziskus auszeichnet, den Blick der Liebe, die so lange hinschaut, bis die Distanz zwischen Betrachter und Gegenstand schwindet. Franziskus schaut so lange auf Christus, bis er sich in Einheit mit ihm erlebt, so sehr, dass diese Einheit in der Stigmatisation durchscheint und sichtbar wird.“

Wie können wir in unserer notvollen Zeit „Stigmatisation“ leben, heilen und „vergegenwärtigen“? Dafür öffnet uns Dr. P. Cornelius Bohl in der Märzausgabe der Zeitschrift „Franziskaner Mission“ wert- und segensvolle Wege:

„Vor 800 Jahren hat Franz von Assisi die Wundmale Christi empfangen. Die Stigmatisation kurz vor seinem Tod ist die logische Konsequenz eines intensiven Lebens. Sie macht äußerlich anschaulich, was ihn seit seiner Jugend innerlich umgetrieben hat. Ein Leben lang hat er versucht, Jesus ähnlich zu werden. Kurz vor seinem Tod wird diese Verbundenheit auch an seinem Leib sichtbar. Als junger Mann hat er die schützende Ritterrüstung abgelegt und war dann ein Leben lang bereit, sich von fremder Not berühren zu lassen: von der Verzweiflung der Aussätzigen, dem Elend der Armen, dem Ärgernis einer Evangeliums fernen Kirche. Am Ende ist er selbst verletzt und gezeichnet. Gerade der solidarische Bruder wird zum Bild Christi.

Was bedeutet heute „Mission“? Und wie geht „Evangelisierung“ hier bei uns in einem Land, in dem der christliche Glaube immer dünner wird? Unser verwundeter Bruder Franziskus hat nach 800 Jahren kein Rezept für uns, gibt uns aber vielleicht doch einige wichtige Hinweise: Sei ehrlich, kleistere Not nicht zu, auch nicht mit frommen Sprüchen. Lass dich berühren von den Wunden der anderen und der Zeit. Sei solidarisch mit denen, die heute verletzt und stigmatisiert werden. So machst du etwas von Christus in dieser Welt sichtbar.

Verletzungen benennen und auch mal den Finger in die Wunde legen. Wunden verbinden und Schmerzen lindern. Aber auch Wunden solidarisch mittragen, wo sie nicht heilen. Und in all dem etwas von Jesus erfahrbar machen. Darum geht es uns Franziskanern auch in unserer weltkirchlichen Arbeit.“

Bildnachweis:
Thuiner Franziskanerinnen, Provinzialat